Potentiale

 

Ich habe mich gegen Mühlennostalgie entschieden, will kein funktionsloses Stehhübsch für die Bewunderung betulicher Reisegruppen. Lieber soll die Mühle ihre Bewohner und Gäste anregen, aktiv zu sein, Neues zu entdecken, mit Händen, Kopf und Werkzeugen zu gestalten und das Vorgefundene weiterzuentwickeln. Und sich selbst neu entdecken: Ideen, Talente, Neigungen!

Bauen 2.0? 3.0? Bauen 4.0? Ein ganzes Haus aus dem 3-D-Drucker? And everything inside is smart?

Auch das eher nicht. Die Mühle als Ort gelebter Kreativität stelle ich mir anders vor: „Mühle“ suggeriert Handgreifliches, Erlebbares; es rumpelt, bröckelt, schimmert, schnuppert vielleicht. Bauen mit Lehm und Holz, mit Jute, Hanf, Wolle, Kork, Bambus whatever aktiviert die sinnliche Wahrnehmung, mutet auch archaisch an.

„Die gerade Linie ist gottlos und unmoralisch“ (F. Hundertwasser)

Sagte der, der bis heute beglückende Unikate menschengerechter Wohnhäuser gebaut hat.

Ein langer Weg, auch weil so wenig Wissen um die einfachen Materialien verfügbar ist. Wertschöpfungsketten sind bei den einfachen Dingen meist außer Betrieb. Damit fallen sie aus dem Raster der Gesellschaft bis ein Konzern die Lücke zu ihrer Patentierung findet. Vorläufig geniessen wir die riesigen Spielräume für eigene Entdeckungen.

Beim Selberbauen fragt jedes Material und jede Technik nach dem Sinn Ihrer Anwendung: kein Tag vergeht ohne die Freude der Gestaltung irgendwelcher Details.

Potentiale

Craft und Kraft: Der Blick in die Vorläufer unserer Sprache bezeugt Verwandtschaft. Kraft wurde im neueren Deutsch zur Muskelkraft, später sogar Abstraktum, Craft im Englischen ist Anwendung, greifbar Reales geblieben – immer im Zusammenhang mit Handwerk. Also führen wir beides wieder zusammen: Das Craftwerk im Kraftwerk, Craftentfaltung – die Irritation ist beabsichtigt.

Heute ist Alles als Fertigmischung verfügbar, Kreativität ins Metier der App-Entwickler, Strategen und Architekten verbannt. Die Regeln der Moderne bestimmen Industrie- und Handelscluster, die über Lobbyarbeit ihre Produktmerkmale zur verbindlichen Vorschrift erheben. Die Wertschöpfung steigt mit jedem Zusammenschluss und jeder Etage im Hochhaus der Welt-Konzernleitung. Die globalisierte Welt kennt nurmehr, wenn sich den Algorithmen von Google&Co unterwirft.

Kein Wunder, dass heute jeder studieren und auch vor dem Rechner sitzen will. Und was können die urbanen Hände noch? Bastelstunde im Repair Cafe?

Wollen wir nichts mehr schaffen in der realen Welt?

  • Tun mit Händen und Erleben mit eigenen Sinnen?

  • Selber herstellen?

  • Erfahrungen machen. Fehler machen?

  • Miteinander tun?

  • Erleben, wie etwas entsteht!

 

Die Mühle auf dem Land ist in dieser Konstellation Raum unfassbarer Möglichkeiten!

Zum Ausprobieren, zur Arbeit mit den Händen, zum gemeinsamen Tun braucht es Räume, Werkzeuge, Material. Das passt in die Mühle! Der Ort hat so lange Tradition, viel Handwerk erlebt. Es tut gut, ihn damit wieder zu beleben.

 

Tilman Kunowski im Herbst 2017